- Militärgeschichte: Grundzüge der deutschen Militärgeschichte
- Militärgeschichte: Grundzüge der deutschen MilitärgeschichteDie Geschichte der menschlichen Gesellschaft ist seit ihren Anfängen immer auch eine Geschichte wechselseitiger Gewaltanwendung gewesen. Der Begriff »Militär« als Bezeichnung einer berufsspezifischen sozialen Großgruppe ist jedoch eng mit der Entstehung des modernen Staates seit dem 15. Jahrhundert verbunden. Der Versuch, ein staatliches Gewaltmonopol nach innen zu errichten, als eine Voraussetzung zur Sicherung staatlicher Existenz nach außen, hat das Militärwesen in der Neuzeit neben der allgemeinen und der Finanzverwaltung zu einem der Grundpfeiler moderner Staatlichkeit werden lassen.Wenn aber der Militärdienst als freiwillige oder rechtlich sanktionierte Leistung des Einzelnen für den Staat anzusehen ist, dann lässt sich die Kriegs- und Heeresgeschichte des Mittelalters noch nicht unter dem Begriff Militärgeschichte subsumieren. Weder die Stämme der Völkerwanderungszeit noch die merowingischen Heerbanne und Heergeleite entwickelten erkennbare berufsspezifische Kriterien eines Kriegerstandes im Sinne einer arbeitsteilig gestalteten Gesellschaftsverfassung. Zunächst wandelten sich die Fußheere der Völkerwanderungszeit unter dem Eindruck der beweglichen arabischen Reiterscharen und später der berittenen Horden Pannoniens zu Reiterheeren, die für Jahrhunderte das Rückgrat der europäischen Kriegsmacht darstellten. Die innere Konsolidierung des mitteleuropäischen Raumes ermöglichte eine dauerhafte Grenzsicherung. Zwingende Voraussetzung dafür war eine ständige oder zumindest kurzfristig verfügbare wehrhafte Mannschaft.Mittelalterliches RittertumDie Verwendung von Pferd, Steigbügel und Kettenpanzer bedeutete die Kombination von Reichweite, Geschwindigkeit und Schutzpanzerung als Grundlage einer militärischen Überlegenheit, die unmittelbar in politische Macht umgesetzt werden konnte. Der Krieger musste aber, um seine Überlegenheit zur Geltung bringen zu können, Pferd und Waffe über das für einen freien Mann übliche Maß hinaus beherrschen. Das bedeutete eine tägliche Waffenübung. Damit begann etwa seit dem 8. Jahrhundert eine allmähliche soziale Differenzierung. Die Professionalisierung in der Waffenhandhabung zog wiederum eine Verbesserung der Ausrüstung des Kriegers nach sich. Nicht jeder Freie konnte sich die höchst kostspielige Ausrüstung, die etwa einem Gegenwert von 30 bis 45 Milchkühen entsprach, leisten.Die personenrechtlich fixierte Kriegsdienstpflicht musste zunehmend in eine sachenrechtliche Beziehung umgeformt werden. Landleihe und territoriale Expansion wurden zu den Instrumenten frühmittelalterlicher Herrschaftsausübung. Die Treue des Kriegers vergalt der Herr mit einer Versorgung aus dem Eigengut und der Zusicherung seines Schutzes. Damit wurde eine wechselseitige Abhängigkeit begründet, die die Grundlage des mittelalterlichen Lehnswesens bildete. Die Schwäche des Königtums ließ aber entsprechende Vasallitätsverhältnisse auch zwischen den Großen des Reiches und Niederfreien entstehen. Dabei bedeutete die Treuepflicht gegenüber dem unmittelbaren Lehnsherrn keinen Treuevorbehalt gegenüber dem jeweiligen Herrscher als Oberlehnsherrn. Die damit sichtbar werdenden Konturen der Lehnspyramide lassen in militärischer Hinsicht bereits auch ihre Schwächen erkennen. Das Heer des hohen Mittelalters war eben nicht ein einheitliches Instrument zur Durchsetzung des Herrscherwillens, sondern ein heterogenes Konglomerat ritterlicher Einzelkämpfer, die sich nur unter bestimmten Bedingungen und zeitlich begrenzt einer einheitlichen Führung unterordneten.Die Auszehrung der adligen Führungsschicht durch Kriege, Seuchen, aber auch durch die Verwendung im zölibatären Dienst der Kirche erzwang spätestens seit dem 12. Jahrhundert eine soziale Öffnung des Kriegerstandes. Über die Erblichkeit der Lehen erhielten auch Niederadlige und Ministeriale Zugang zum Waffenhandwerk, dessen Ausübung zunehmend berufsspezifischen Charakter annahm. Der Sturmangriff mit eingelegter Lanze wurde über Jahrhunderte zum Merkmal ritterlicher Kampfesweise. Er war nur durch eine ständige und damit professionelle Einübung zu erlernen. Die zunächst sozial nicht völlig homogene Gruppe der Reiterkrieger definierte sich in erster Linie über das Waffenhandwerk, dessen Ausübung sie in eine spezifische Lebensform einbettete, aus der sie ihre soziale Legitimation innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft bezog. Dazu gehörte auch eine zunehmende Ritualisierung, mit der in romantischer Verklärung bis heute die Bezeichnung »ritterlich« verbunden wird. Dieser Prozess dürfte zu Beginn des 13. Jahrhunderts abgeschlossen gewesen sein. Der bereits seit dem 11. Jahrhundert in Mitteleuropa zu beobachtende Bevölkerungsanstieg bewirkte eine zunehmende geburtsständisch definierte soziale Abgrenzung bei gleichzeitiger sozialer Binnendifferenzierung. Etwa ein Prozent (100 000 Menschen) der Bevölkerung des Reiches dürfte zu dieser Zeit der Ritterschaft angehört haben.Erbteilungen innerhalb dieser Gruppe reduzierten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vieler Geschlechter und bildeten zusammen mit einem steigenden Bevölkerungsdruck ein Motiv für eine gewaltsame Expansionspolitik. Die deutsche Ostkolonisation wie die spanische Reconquista haben hier ebenso einen Ursprung wie die Kreuzzüge, die wie kein anderes Ereignis des europäischen Mittelalters bis heute untrennbar mit dem Begriff des miles christianus, des christlichen Ritters, verbunden sind. Das christlich geprägte Standesdenken des Mittelalters verlieh dem Ritter ein spezifisches Ethos, in dem die Verteidigung der Armen und Schwachen, der Kirche und ihrer Diener und schließlich des Christentums und seiner Wertvorstellungen insgesamt eine zentrale Position einnahm. Der Kampf gegen Ungläubige und ihre Missionierung gehörten in diesen Kontext ebenso wie die Sicherung des »Gottesfriedens« im Inneren der christlichen Gesellschaft.SöldnerwesenDie zunehmende waffentechnische Perfektionierung führte zur Ausbildung einer primär ökonomisch bestimmten Schicht innerhalb des europäischen Adels. Während die Bevölkerung ihrem Herrn für den gewährten Schutz Naturalleistungen erbrachte, sammelte sich auf der Burg eine Anzahl jüngerer oder wenig begüterter ritterbürtiger Herren, um im Lehnsverhältnis zu einem großen Herrn den eigenen sozialen Aufstieg zu erreichen. Die, die dieses Lebensziel verfehlten, verdingten sich zunehmend als Soldritter und bildeten damit die Grundlage der im Spätmittelalter rasch Verbreitung findenden Privatarmeen des europäischen hohen Adels. Damit begann der Niedergang des klassischen Rittertums, sank die persönliche Treuebeziehung zu einem geldwerten Lohndienst herab.Aber auch sozial und waffentechnisch geriet das Rittertum im 14. Jahrhundert unter Druck. Die Ausbreitung des Geldverkehrs beförderte den Aufstieg der Städte und ihrer Führungsschichten, die sich bemühten, ihre Unabhängigkeit auch gewaltsam zu erreichen. Die Entwicklung von Fernkampfwaffen, wie etwa Armbrust und Langbogen, deren Einsatz dem ritterlichen Ideal des Zweikampfes völlig entgegengesetzt war, bereitete den Wiederaufstieg leicht gerüsteter Fußsoldaten vor. Die tragischen Niederlagen der europäischen Ritterheere im 14. und 15. Jahrhundert, beginnend mit der »Goldsporenschlacht« von Courtrai 1302, über Morgarten, Crécy, Sempach, Agincourt, Grandson und Murten markierten augenfällig den Anbruch einer neuer Zeit. Gleichzeitig traten im Gefolge der großen Pestepidemien Bevölkerungsverluste auf, durch die die Nachfrage nach Agrarprodukten stark verringert wurde. Der Wert des Bodens, der wirtschaftlichen Basis ritterlicher Existenz, verminderte sich erheblich. Mit dem Verlust der militärischen Vorrangstellung verband sich demnach der ökonomische Niedergang.Die unbeschäftigten Söldnerhaufen des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England suchten, da ihnen das Soldatenhandwerk zum Beruf geworden war, neue Beschäftigung. In großer Zahl zogen sie nach Italien, wo sie im Dienst der wirtschaftlich prosperierenden Stadtstaaten ihr Glück zu machen hofften. Hier gewährleisteten Kapitalakkumulation, die Leistungskraft überregionaler Handelsbeziehungen und die Anfänge des Bankwesens die Ausrüstung, Versorgung und Besoldung zahlenmäßig umfangreicher Truppen und den Einsatz moderner, kostspieliger Waffentechnologie. Die städtischen Wirtschaftszentren, zunächst in Flandern, dann in Oberitalien und schließlich in Oberdeutschland, beförderten auf diese Weise nicht nur den Einsatz einer größeren Zahl einheitlich ausgerüsteter und ausgebildeter Fußsoldaten, sondern schufen durch ihre weit gespannten Handelsbeziehungen, verfügbares Kapital und handwerkliches Potenzial die Voraussetzungen für eine Revolutionierung der Kriegführung.Anfang des 14. Jahrhunderts wurde in Italien, unter Verwendung der aus China über den arabischen Raum nach Europa gelangten Rezepte zur Herstellung von Schießpulver, an der Herstellung von Schusswaffen experimentiert, denen aufgrund ihrer zunächst vasen- oder topfartigen Form die lateinische Bezeichnung canna (daher: Kanone) gegeben wurde. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts war der Siegeszug der Geschütze und in ihrem Gefolge der Handfeuerwaffen nicht mehr aufzuhalten. Die schwer beweglichen Geschütze dienten zunächst als Belagerungswaffen. Ihr Einsatz ließ die Mauern und Zinnen mittelalterlicher Burgen, die Zeichen ritterlichen Herrschaftsanspruchs, in sich zusammenfallen. Nach dem Fußsoldaten wurde der handwerklich geschulte Büchsenmacher und Feuerwerker zum gesuchten Spezialisten einer neuen Kriegstechnik. Schutz vor der zerstörerischen Wirkung der Artillerie boten von nun an nur breite, tiefe Erdwälle und gedrungene Bastionen, die zum Kennzeichen groß dimensionierter Festungen wurden. Zu derartigen Verteidigungsanlagen war ein einzelner Herrensitz weder finanziell noch personell in der Lage.Der sich seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelnde moderne Staat benötigte zu seiner Sicherung nach innen zunächst die Ausschaltung beziehungsweise Einbindung konkurrierender Herrschaftsträger. Der Aufbau einer modernen Armee machte in erster Linie die Verfügbarkeit erheblicher finanzieller Mittel notwendig, Summen, über die letztlich nur noch die Territorialfürsten verfügten. Ihr Aufstieg bedeutete gleichzeitig die politische Entmachtung der Ritterschaft, ein Vorgang, der sich in der Überlieferung eng mit dem Bild des Raubritters verbunden hat.Der Aufstieg des Fußvolks im 15. Jahrhundert ging einher mit der Einführung von Handwaffen, deren massenhafte Herstellung zunehmend kostengünstiger erfolgen konnte. Der »gemeine Spieß« wurde von den bürgerlichen Milizen der italienischen Städte in der Mitte des 14. Jahrhunderts eingeführt. Schweizer Soldknechte übernahmen ihn und entwickelten auf dieser Basis im 15. Jahrhundert die gefürchtete Langspießtaktik der eidgenössischen Gewalthaufen. An den spießstarrenden »Igeln« der Schweizer zerschellten die Ritterheere Karls des Kühnen von Burgund. Die Handhabung der zwischen 3,80 und 5,40 m langen Spieße erforderte ein erhebliches körperliches Training und entsprechende Geschicklichkeit.Frühneuzeitliches Militär und europäische StaatsbildungDer Einsatz von Massenheeren, die Verwendung von Schusswaffen verschiedener Kaliber, der Ausbau moderner Festungswerke und schließlich die außereuropäische Expansion mithilfe militärischer Großtechnologie, zu der die Kriegsflotten zu rechnen sind, setzten einen Prozess in Gang, der in der historischen Forschung zu Recht als »militärische Revolution« bezeichnet worden ist. Ein derartig tief greifender Wandel auf einem für die staatliche Selbstbehauptung entscheidenden Sektor musste unmittelbare Folgen für die frühmoderne Staatsbildung nach sich ziehen. Nur wer Rekrutierung, Ausrüstung und Unterhalt zahlenmäßig immer umfangreicher werdender Heere sicherzustellen vermochte, konnte sich zunächst im innenpolitischen Kampf rivalisierender Machtträger behaupten. Die innere Machtsicherung bildete damit die Voraussetzung für jede außenpolitische Positionsbestimmung. Damit wurden die Bedürfnisse des Heeres zum Motor des frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesses.Die Entstehungsgeschichte des »freien Söldnertums«, zu dem auch die deutschen Landsknechtshaufen gerechnet werden müssen, verdeutlicht aber auch nachdrücklich die Strukturdefizite und Grenzen der frühmodernen Militärorganisation. Da die Steuerverwaltung und -praxis noch weitgehend ungefestigt und daher wenig effizient war, ließ sich ein dauerhaftes staatlich finanziertes Kriegswesen zunächst noch nicht realisieren. Die Landesherren mussten sich darauf beschränken, für die Dauer eines Krieges Söldnerkontingente vertraglich anzuwerben, die zum Teil sogar zwischen den Feldzügen wieder entlassen wurden und als »gartende Knechte« zu einer regelrechten Landplage werden konnten. Diese Praxis bedeutete, dass sich eine »Zunft« der Kriegsleute herausbildete, deren Angehörige sich dem Meistbietenden verdingten, die ihre eigenen Unterführer wählten und bei Soldverzug auch das Recht besaßen, den Dienst aufzukündigen.Die Sozialstruktur dieser Verbände war weitaus breiter gefächert, als es spätere Forschungen dargestellt haben, denen es, vor dem Hintergrund des stehenden Heeres des 18. oder gar der allgemeinen Wehrpflicht des 19. Jahrhunderts, in erster Linie darum zu tun war, die soziale Randständigkeit der freien Söldnerverbände zu unterstreichen. Die handwerklich-zünftige Organisationsstruktur der Söldnertruppen, also Unterordnung und Disziplin, war jedoch nur eine Funktion des Kriegshandwerks. Eine darüber hinausgehende innere Bindung an den Kriegsherrn bestand nicht.Die häufig beklagte Unregierbarkeit der Landsknechtsheere, die bei Zahlungsverzug unkontrollierbare Plünderungen und Exzesse verursachten und dabei den Kriegsherren bisweilen einen immensen außenpolitischen Schaden zufügten — so etwa bei der Erstürmung und Plünderung Roms 1527 (Sacco di Roma) —, erzwang geradezu die Entwicklung alternativer Wehrkonzepte. Die Überlegungen gingen dabei in zwei Richtungen: Einerseits musste die Verfügungsgewalt des Landesherrn über das bewaffnete Instrument verstärkt, andererseits versucht werden, den inneren Zusammenhalt der Söldnerhaufen und ihre Bindung an den Landesherrn zu verbessern. Das bedeutete zunächst, die Finanzverfassung und das Steuersystem des frühmodernen Staates der unmittelbaren und ausschließlichen Verfügung des Herrschers zu unterwerfen. Damit setzte eine zähe, fast zwei Jahrhunderte dauernde Auseinandersetzung zwischen Fürsten und Ständen auf dem Gebiet der Besteuerung der Untertanen ein. Die Notwendigkeit, regelmäßige Militärsteuern zu erheben, wurde zum Angelpunkt einer landesherrlichen Verwaltung. Das Streben nach uneingeschränkter Verfügungsgewalt über das Kriegswesen ging also mit der Sicherung der Steuerhoheit und dem Ausbau der Verwaltung einher.Soldatische Professionalisierung und DisziplinierungDie latente Gefahr, die von einer Verselbstständigung der Berufskriegerkaste ausging, veranlasste die Landesherren schon früh, neben der materiellen Absicherung der unter Waffen zu haltenden Söldnerverbände auch eine kostengünstige personelle Alternative nutzbar zu machen. So griff man immer wieder auf ältere Vorbilder einer milizgestützten Landesverteidigung zurück und suchte während des 16. Jahrhunderts einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung für den Kriegsdienst verfügbar zu halten. Das Milizkonzept, erstmals von dem Florentiner Staatstheoretiker Niccolò Machiavelli Ende des 15. Jahrhunderts propagiert, scheiterte in den folgenden Jahrhunderten in der Praxis immer wieder an der Unmöglichkeit, mit kurzfristig ausgebildeten Männern die Professionalität von Berufssoldaten zu erreichen.Ließ sich der Milizgedanke in den kriegerischen Auseinandersetzungen nur unvollkommen umsetzen, so wurde doch das humanistisch geprägte theoretische Konzept, das diesem Wehrprinzip zugrunde lag, erfolgreich weiterentwickelt. Dabei ging man davon aus, dass die Vorläufer der Söldnerheere in den römischen Legionen zu suchen seien. In diesem Sinne suchte man die geistig-moralische Leistungsfähigkeit der Truppen zu verbessern, um ihnen auf diesem Wege eine letztlich auch militärische Überlegenheit gegenüber der Zuchtlosigkeit der ausschließlich an materiellen Vergünstigungen interessierten Söldner einzupflanzen. Im Freiheitskampf der Niederlande gegen die Truppen Philipps II. von Spanien, die sich einerseits durch die überragende Infanterietaktik ihrer geschlossenen Karrees (tercios) auszeichneten, andererseits aber aufgrund der finanziellen Überbeanspruchung der spanischen Krone von ständigen Meutereien geschüttelt wurden, entstand das Konzept einer Landesverteidigung, das unter der Bezeichnung »oranische Heeresreform« das Drill- und Disziplinierungsprogramm der stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollte. Ausgehend von den Niederlanden bestimmten die Grundprinzipien der Reform zunächst die hugenottischen Militärtheoretiker in Frankreich, später die Ausbildung der schwedischen Armee unter Gustav II. Adolf, die geharnischten Ritter (Ironsides) des englischen Lordprotektors Oliver Cromwell und schließlich die Ausbildung der brandenburgischen Armee unter dem Großen Kurfürsten. Die vier »kanonischen Regeln« der Reform umfassten ein beständiges Exerzieren der Truppe, eine alle Bereiche der Heeresverwaltung einschließende Organisation des Heeres einschließlich einer Hierarchisierung seiner Befehlsstrukturen, eine geistig-moralische Selbstzucht der Soldaten und schließlich eine über das Heer auf die Gesamtgesellschaft zurückwirkende Erziehung durch Belohnung und Strafe. Nach der technisch-quantitativen »militärischen Revolution« seit der Mitte des 15. Jahrhunderts folgte nun quasi in einem zweiten Schritt eine geistig-moralische Umformung des Kämpfers durch Gruppen- und Selbstdisziplin. Damit sollte die Leistungsfähigkeit größerer Truppenkörper und die Durchschlagskraft ihrer Waffen erhöht werden.Doch bereits die Niederländer erkannten, dass diese an den Soldatenberuf gestellten ethisch-moralischen Anforderungen unter den Bedingungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft nicht ohne weiteres zu verwirklichen waren. Die Aushebung »tugendhafter« Landeskinder hätte der Volkswirtschaft gerade die produktiven Kräfte entzogen, auf deren Steuerleistung der moderne Staat in besonderer Weise angewiesen war, wenn er das zu einer aktiven Außenpolitik notwendige militärische Potenzial schaffen wollte. So reduzierte sich die Anwendung der »oranischen Reform« zunächst nur auf die Umsetzung der unmittelbar für die Führung und den Einsatz der Truppen bedeutsamen Faktoren. Hierzu zählte in erster Linie die Zurückdrängung der vertragsrechtlich abgesicherten autonomen Entscheidungsbereiche der Soldaten. Eine rationelle Waffenhandhabung, das Zusammenwirken von Infanterie, Kavallerie und Artillerie auf dem Gefechtsfeld, die Hierarchisierung von Befehlsstrukturen und die allmähliche Ausbildung einer militärischen Infrastruktur wurden damit zum Kennzeichen der Heere des frühen 17. Jahrhunderts.Stehende HeereIm Dreißigjährigen Krieg hatten drei Faktoren auf alle europäischen Staatsführungen eine geradezu traumatische Wirkung: die Verselbstständigung der Kriegsfurie als Ergebnis eines privatwirtschaftlich organisierten Kriegsunternehmertums, die in ihrem Gefolge zunehmend autonome, der politischen Führung des Herrschers entzogene Kriegsmaschinerie, deren Führer zu konkurrierenden Machtträgern mit eigenen Ambitionen (Wallenstein) aufsteigen konnten, und schließlich Armeen, die als weitgehend eigenständige Verhandlungspartner im Friedensprozess auftraten und deren »Satisfaktion« erhebliche Probleme bereitete. Vor diesem Erfahrungshorizont entschieden sich die europäischen Mächte und die großen, »armierten« Reichsstände, auf Kosten ihrer Territorien ständig unter Waffen gehaltene Kaderarmeen über den Friedensschluss hinaus beizubehalten und deren Führern einen Aufstieg im Dienst des Herrschers zu garantieren. Grundlegende Voraussetzung bildete eine garantierte soziale Exklusivität der militärischen Elite. Nicht die Unterwerfung des Adels, sondern ein Interessenausgleich zwischen dem Fürsten und dem zweiten Stand waren das Ergebnis der zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Landesherren und ihren ständischen Vertretungen im 17. Jahrhundert.Der Unterhalt einer ständig einsatzbereiten Armee, ihrer Waffenarsenale und Artillerieparks und der zu ihrer Sicherung notwendigen modernen Festungen war nur mehr in zentral verwalteten modernen Flächenstaaten möglich. Damit setzte zwischen 1650 und 1750 die dritte und letzte Phase der »militärischen Revolution« der frühen Neuzeit ein. Die numerische Überlegenheit auf dem Gefechtsfeld wurde zum entscheidenden Kriterium des militärischen Erfolges. Der Unterhalt von zum Teil mehreren Hunderttausend Soldaten, ihre Ausrüstung und Versorgung — Frankreich verfügte im Spanischen Erbfolgekrieg (1701—13/14) über eine Armee von insgesamt 400 000 Soldaten — führten selbst die wirtschaftlich führenden europäischen Großmächte an den Rand ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und bisweilen auch darüber hinaus. In keinem Staat waren in diesem Umfang Soldaten durch freiwillige Werbung zu gewinnen, zumal noch immer die Maxime galt, nur diejenigen unter die Fahnen zu nehmen, die dem Wirtschaftskreislauf des Staates ohne Schwierigkeit entzogen werden konnten. Waren die Reaktionen der freiwilligen Kriegshandwerker des 16. und 17. Jahrhunderts auf unzumutbare Existenzbedingungen der Militärstreik und die Meuterei gewesen, so trat an deren Stelle nun die massenhafte Desertion der zum Dienst gepressten Soldaten.Eine hegemoniale Politik, wie sie Spanien im 16. und Frankreich im 17. Jahrhundert versucht hatten, scheiterte im 18. Jahrhundert am Zusammenschluss der Mächte gegen den jeweiligen Störer der kontinentalen Friedensordnung. Von nun an bestimmten Koalitionen die Kriegspolitik der Staaten, wurde das Gleichgewicht der Kräfte zum bestimmenden Faktor der europäischen Politik. Die methodische Kriegführung, ein Kind aufgeklärter Rationalität, perfektionierte den Einsatz der militärischen Macht durch kunstvolle, mathematisch konstruierte taktische Evolutionen. Der geschlossene Einsatz der Truppen im Rahmen einer geschlossenen linearen Kriegführung verminderte das Risiko der Desertion. Das Kriegshandwerk entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in allen Staaten zur Kriegskunst. Der letzte große Konflikt des vorrevolutionären Europa, der Siebenjährige Krieg, ging auf dem Kontinent zu Ende, ohne dass eine der Krieg führenden Mächte territoriale Gewinne zu verzeichnen gehabt hätte. Im Gegenteil, die gewaltsame Auseinandersetzung verursachte immense Kosten, die in Preußen eine tief greifende Wirtschaftskrise hervorriefen und in Frankreich die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen verschärften, was schließlich zur Revolution führte. Das militärische Potenzial der großen Mächte, ihr Kriegsschatz und damit die Leistungsfähigkeit ihrer Kriegsmacht waren durch die allgemein erreichte Vervollkommnung der Führungs- und Einsatzgrundsätze zu einem »Gleichgewicht des Schreckens« geworden, in dem die Armeen nur mehr als politisches Drohpotenzial und zu außenpolitischen Polizeiaktionen verwendet wurden. Die Forderungen der Aufklärer mithin ließen Kriege und Schlachten zunehmend als unvernünftig und als der sittlichen Vervollkommnung des Menschen entgegengesetzt erscheinen.Nation in WaffenDie Französische Revolution und ihre Vorstellung von der Nation in Waffen öffnete in Europa erneut die Büchse der Pandora, führte zwischenstaatliche Konflikte im Geiste des Nationalismus herauf, die den Kontinent bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in seinen Bann schlagen sollten. Wenn das Vaterland zum Hort der Bürgerrechte, der politischen Partizipation und der persönlichen Freiheit geworden war, dann wurde der Schutz desselben, bisweilen auch der gewaltsame Export der Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu einer nationalen Verpflichtung. Nicht mehr der geworbene oder zwangsweise ausgehobene Soldat des Absolutismus, nicht mehr die rangierte, lineare Schlachtordnung mit ihren kunstvollen Manövern, sondern das aufgelockerte Schützengefecht freiwilliger Kämpfer, der kraftvolle Stoß mächtiger Infanteriekolonnen und massierte Reiterattacken bestimmten nun das Kampfgeschehen, dem die Armeen der alten Mächte hilflos gegenüberstanden. Erst der Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft im Zuge des erwachenden deutschen Nationalgefühls und — in Fortentwicklung der Ideen der Französischen Revolution — die Hoffnung, dass aufgrund einer engen Verbindung zwischen Staats- und Heeresverfassung die notwendige Veränderung der Letzteren auch größere Freiheits- und Bürgerrechte bei der Ersteren bewirken könnte, bildeten den Motor der preußischen Reformen, ließen den Gedanken der Volksbewaffnung auf fruchtbaren Boden fallen und ermöglichten die letztlich erfolgreiche Übernahme der taktisch-operativen Grundsätze der Französischen Revolution.Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht, die Vorstellung, dass der Bürger auch der geborene Verteidiger seines Vaterlandes sei, bedeutete zwangsläufig die radikale Abkehr von den stehenden Heeren des Absolutismus. Das preußische Wehrgesetz vom September 1814 stellte dem stehenden Heer, der »Linie«, die Landwehr als die Institution zur Seite, in der der Bürger seiner militärischen Dienstpflicht genügte. Die Reformversuche scheiterten jedoch, noch ehe sie ihre Leistungsfähigkeit hatten unter Beweis stellen können. Zunächst war durch die Niederlage Frankreichs die unmittelbare militärische Bedrohung der europäischen Mächte gebannt. Eine umfassende Ausbildung der wehrfähigen Bevölkerung schien aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht mehr geboten. Damit stieg die Bedeutung der »Linie« als des eigentlichen Trägers der bewaffneten Macht im preußischen Staat, erhielt die Landwehr zunehmend den Status einer abhängigen Ersatzformation, deren Verbände nach einer Mobilmachung in der regulären Armee aufgehen sollten. Der innenpolitische Mehltau, der im Zuge der Heiligen Allianz (1815) und der gegen »demagogische Umtriebe« gerichteten Karlsbader Beschlüsse von 1819 die europäischen Staaten im Vormärz überzog, hinterließ auch in den Armeen seine Spuren. Die innere Struktur des militärischen Instruments, die Vorstellung von einer besonderen Ehrauffassung seiner Offiziere, die zu erfüllen nur ein Angehöriger des Adels in der Lage war, und die daraus resultierende besondere Treuebeziehung zum Monarchen brachte die Armee erneut in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu den Vorstellungen des bürgerlichen Frühliberalismus.Die Revolutionen von 1830 und 1848 bestätigten einerseits die Vorstellung von der Armee als unbedingtem Erfüllungsinstrument der monarchischen Reaktion, ließen aber andererseits auch die Gefahr einer bewaffneten Revolte des Industrieproletariats der Ballungszentren am Horizont aufscheinen — ein Schreckgespenst des europäischen Bürgertums, das einige Jahrzehnte später im Pariser Kommuneaufstand von 1871 Wirklichkeit zu werden schien. Die idealistische Vorstellung von der allgemeinen Wehrpflicht als dem vornehmsten Ausdruck eines bewusst wahrgenommenen Bürgerrechts und als sichtbares Zeichen der Verschmelzung von Volk und Nation wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts vonseiten der Herrschenden wie auch der bürgerlichen Eliten zunehmend kritischer beurteilt. Zudem machten die militärtechnischen Errungenschaften der beginnenden industriellen Revolution die Aushebung von Massenarmeen noch nicht notwendig. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 entsprach hinsichtlich seiner Mobilmachung noch weitgehend den traditionellen Vorstellungen, nach denen die Kampfhandlungen zunächst durch die regulären Truppen bestritten und Reserven nur im Bedarfsfall eingesetzt wurden.Militär und Gesellschaft im Deutschen KaiserreichDie Reichsgründung auf den Spitzen der Bajonette der preußischen Armee und der Kontingente der deutschen Staaten verschaffte dann am Ende des 19. Jahrhunderts der Monarchie und der bewaffneten Macht im Kaiserreich einen gesellschaftlichen Prestigegewinn, der sich über die Elite der bürgerlichen Gesellschaft bis ins Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft fortsetzte. Eine zunehmende Technisierung des Kriegswesens ließ die Mobilisierung von zahlenmäßig umfangreichen Armeen notwendig werden, die nun mehrheitlich aus Reservepersonal bestanden, das auch Teile der Industriearbeiterschaft mit einschloss, eine Entwicklung, die die bürgerlich-aristokratischen Eliten des Reiches angesichts einer weit verbreiteten Sozialistenfurcht bedenklich stimmte. Noch über das Ende des Ersten Weltkriegs hinaus galten die Angehörigen der ländlichen Gebiete Ostdeutschlands als die leistungsfähigsten, zuverlässigsten und gesündesten Rekruten. Der »Burgfrieden«, den Kaiser Wilhelm II. zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 ausrief, macht bereits in seiner Terminologie die zeitliche Begrenzung der Einebnung von Klassenschranken deutlich. Sie sollte nur für die Zeit der unmittelbaren Bedrohung des Reiches gelten. Die Behandlung von Rekruten und die unterschiedliche soziale Akzeptanz von bürgerlichen Frontoffizieren der Reserve und den Berufsoffizieren in den höheren Stäben, Letztere zumeist von Adel, der hohe Anteil von Industriearbeitern in den technischen Waffengattungen des Heeres (Artillerie, Kraftfahrtruppe, Telegrafentruppe) und vor allem in der Flotte — all diese Spannungen innerhalb der Armee führten unter den Belastungen wachsender Entbehrungen und alle Vorstellungen übersteigender Massenverluste bei gleichzeitiger weitgehender politischer Entmündigung angesichts der nicht mehr abzuwendenden Niederlage in die Revolution.Armee und »Volksgemeinschaft«Das Auseinanderfallen von Regierung und Armee auf der einen und der Bevölkerung auf der anderen Seite suggerierte den gesellschaftlichen Eliten des untergegangenen Kaiserreiches die Wiederholung der sozialen und politischen Begleiterscheinungen der preußischen Niederlage von 1806 bei Jena und Auerstedt, die den Niedergang des friderizianischen Staatswesens einleitete, unter den ungleich gravierenderen Begleiterscheinungen eines industrialisierten Massenkrieges. Diese Befürchtungen haben die innenpolitischen Vorstellungen der Reichswehr- und später der Wehrmachtführung bis 1945 nachhaltig bestimmt. Während man außenpolitisch von Anfang an die Revision des Versailler Vertrages von 1919/20 mit militärischen Mitteln und damit die Wiederherstellung der deutschen Weltmachtposition der Vorkriegszeit nicht aus den Augen verlor, sah man die innenpolitischen Voraussetzungen eines derartigen Programms in einer dauerhaften Verschmelzung von Volk und Armee. Die als »Parteienhader« empfundenen politisch-parlamentarischen Auseinandersetzungen der ersten deutschen Republik schienen dazu ebenso wenig geeignet wie die sozial elitäre monarchische Staatsform der Vorkriegszeit. Ein autoritäres, aus dem Geist der bürgerlichen Frontsoldaten geborenes Regime schien am ehesten die Chance zu eröffnen, dass sich der zeitlich begrenzte »Burgfrieden« zur dauerhaften »Volksgemeinschaft« fortentwickeln konnte. Insofern hat die Reichswehr die »nationale Revolution« des Nationalsozialismus rückhaltlos unterstützt. Hitlers Kriegsziele entsprachen durchaus den territorialen Vorstellungen der militärischen Elite. Nur hinsichtlich des Zeitpunktes einer gewaltsamen Expansionspolitik regte sich fachlicher Widerspruch.Die militärischen Erfolge der ersten Kriegshälfte, als Bewährungsprobe der Idee der »Volksgemeinschaft« gedeutet, verstärkten die Zustimmung zum Regime in der breiten Bevölkerung. Insofern ist der aktive Widerstand einer wenn auch verschwindend geringen Minderheit innerhalb der Bevölkerung beziehungsweise der militärischen Elite umso höher einzuschätzen, weil er unter den Bedingungen des Krieges einen ideologisch eingeforderten »blinden Gehorsam« durch die bewusste Forderung nach ethisch verantwortbarem soldatischem Handeln relativiert hat. Die in allen Armeen der Welt nur selten befolgte Maxime »Er wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte« wurde hier in der letzten nur möglichen Konsequenz menschlichen Handelns befolgt. Im Angesicht der sich abzeichnenden Niederlage und unter dem Druck des strategischen Bombenkrieges, der soziale Reservate kaum mehr ermöglichte, wandelte sich die »Volksgemeinschaft« zur Schicksalsgemeinschaft, aus der es ein Entfliehen nicht mehr gab. Damit wurde die dunkle Seite dieses ideologischen Konstrukts, die Ausgrenzung und Vernichtung der aus rassenideologischer Sicht zu »Gemeinschaftsfremden« erklärten Bevölkerungsgruppen zur hingenommenen Normalität, so wie auch der über unmittelbare militärische Notwendigkeiten hinausgehende Vernichtungskrieg zum Überlebenskampf uminterpretiert wurde. Die daraus erwachsene Perversion nationaler Werte ließ nach der Katastrophe von 1945 eine rückhaltlose Integration in die Wertegemeinschaft der westlichen Welt und ihrer Verteidigungsorganisationen ebenso notwendig erscheinen wie eine Identifikation mit den Traditionen des antifaschistischen Widerstandes.NachkriegsentwicklungWährend in der Bundesrepublik als Reflex auf die Erfahrungen des Dritten Reiches das Recht auf die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe in den demokratischen Grundrechtskatalog aufgenommen wurde, empfand die Deutsche Demokratische Republik ein entsprechendes Verhalten als Verrat an der notwendigen Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus.Eine bipolare Weltordnung unter wechselseitiger atomarer Bedrohung ließ ein Gleichgewicht des Schreckens entstehen, das als Kalter Krieg über vierzig Jahre militärische Konflikte zwischen den Blöcken nur als konventionelle, an der Peripherie ausgetragene Konflikte wirksam werden ließ. In diesem Kontext spielten die beiden deutschen Armeen nur die Rolle eines numerisch und geostrategisch bedeutsamen Drohpotenzials. Der von innen heraus einsetzende Auflösungsprozess der sozialistischen Hemisphäre ermöglichte die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und damit die Auflösung der »ersten sozialistischen Armee auf deutschem Boden«. Er führte aber auch zu einer Neudefinition des Auftrages deutscher Streitkräfte im Atlantischen Bündnis und in den Vereinten Nationen, die erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert den Einsatz auch deutscher Verbände zur Friedenserhaltung in Krisengebieten vorsieht.Die zahlenmäßige Verringerung der Armee und ihre Trennung in Krisenreaktionsstreitkräfte und Hauptverteidigungskräfte trägt dieser Entwicklung Rechnung. Gleichzeitig bricht gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Diskussion über eine mögliche Abkehr von der Wehrpflicht und die Schaffung einer Berufsarmee nicht nur in Deutschland erneut auf, unter anderem wegen der zunehmenden Zahl von Wehrpflichtigen, die den Dienst in den Streitkräften verweigert. Dass diese Diskussion vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die die Weimarer Republik mit einer Berufsarmee gemacht hatte, emotionslos geführt werden kann, zeigt den Grad an Normalität, an selbstverständlicher Einbindung in den demokratischen Staat, den Streitkräfte in Deutschland trotz der langen und schmerzhaften Phase gesellschaftlicher und politischer Sonderexistenz inzwischen erreicht haben.Prof. Dr. Bernhard R. KroenerDelbrück, Hans u. a.: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. 7 Bände Berlin 1-31920-36. Band 1-4 Nachdruck Berlin 1962-66.Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, herausgegeben von Karl-Volker Neugebauer. 2 Bände. Freiburg im Breisgau 1993.Handbuch zur deutschen Militärgeschichte. 1648 - 1939, begründet von Hans Meier-Welcker. Herausgegeben von Friedrich Forstmeier u. a.5 Bände und Register-Band München 1979-81.
Universal-Lexikon. 2012.